19.09.2019 Rezension von O l i v i e r   N e t t e r

  • Klaus P. Horn, Connected to the Unknown – mit Systemaufstellungen die digitale Transformation meistern. 
     Göttingen 2019, Vandenhoeck & Ruprecht, ISBN Print: 9783525406748

Klaus P. Horn ist Managementtrainer, spiritueller Coach und zertifizierter Lehrtrainer für Systemaufstellungen in der DGfS. Der englisch lautende Titel des Buches sowie der Untertitel machen zweierlei Dinge gleich zu Beginn klar:

Erstens : Der Leser wird sich auf fremdes Terrain begeben und sich mit einer fremden Sprache beschäftigen müssen. Zweitens: Dies ist ein Coaching- und Lehrangebot im aktuellen digitalen Businessbereich, dass sich einmal nicht wie zu erwarten gewesen wäre auf Strukuraufstellungen und ihre Überzeugungen stützt, sondern auf Systemaufstellung und Phänomenologie.

"Connected to the unknown" kann aus mindestens drei ganz unterschiedlichen Perspektiven mit Gewinn gelesen werden:

1. Zum einen ist es eine gute Einführung in die Arbeit eines Coachs und Aufstellers im Kontext von individuellem Coaching, Unternehmensberatung und Changemanagement. Es vermittelt nicht nur viele wichtige Grundsätze systemischer Aufstellungsarbeit, sowie auch viele von ihm empfohlene Techniken der Selbstoptimierung aus NLP und anderen Techniken, sondern es vermittelt auch durch viele Aufstellungsbeispiele und anderes Praxismaterial eine sehr lebendige und konkrete Vorstellung darüber, was während einer Beratung geschieht und worum es geht, die Arbeitsatmosphäre des Beraters und die inneren Befindlichkeiten der Klienten. Ihre existenzielle Not und Anspannung überträgt sich förmlich auf die LeserIn. Dabei entsteht durchaus ein zum Teil erschreckendes Bild des Ausmaßes der Beanspruchung des Einzelnen in der modernen Arbeitswelt. Eine Arbeitswelt, die durch den immer drängender werdende Anpassungsdruck auf die Unternehmen und die immer schneller werdenden Innovationsschübe der Digitalisierung, so die These,  die Teilnehmer und die Unternehmen in eine Art letalen Wirbel hineinziehen, den sie entweder als Chance oder eben meist als Überforderung erleben. Die Arbeit des Aufstellers und Coachs im Kontext dieser gestressten Unternehmen am Rande der Prekarität und die in ihnen arbeitenden Menschen besteht nun, wenn man den Ausführungen und praktischen Beispielen folgt darin, den Blick zu öffnen für das Potential des an sich alles auflösenden globalen digitalen Marktgeschehen und die Teilnehmer durch viele Schritte und Transformationen hindurch aus dem Wirbel zu befreien und neu, auf einem höheren bewusstseinsmäßigen Niveau, in sich zu zentrieren und untereinander neu zu organisieren.

2. Zum anderen kann man durch die Lektüre „Connected to the Unknown“ als bereits selbst erfahrener Aufsteller mit Gewinn aus der Perspektive der Bestandsaufnahme und Selbstreflexion, wie in einem Spiegel auf sich selbst blicken. Gewollt oder ungewollt breitet der Autor nämlich nicht nur seine ganz persönliche, praktisch fundierte und deshalb nicht immer bis ins letzte widerspruchsfrei gemachte Synthese der an sich überwiegend bekannten aufstellerischen Mittel und Methoden aus. Nein. Auch die unauflösbaren Widersprüche der Praxis werden hierbei unübersehbar deutlich. Auf die unterschiedlichen, scheinbar unvereinbaren Glaubenssätze der in der Praxis von ihm gleichermaßen genutzten Ansätze der phänomenologischen und der konstruktivistischen Schule  geht er dann im vorletzten Teil des Buches auch genauer ein. Er erläutert seine durchaus originelle und eben aus der Praxis gewonnenen Einsichten zum lösungsfokussierten Arbeiten, sowie zum phänomenologischen sich dem Unbekannten Aussetzen, das ja schon im Titel des Buches erscheint.

Wie bereits gesagt, ist aus der der entspannten Distanz des Lesens sein praktisches Konzept und seine Synthese erkennbar alles andere als widerspruchsfrei. Im besten Sinne werden dabei die auch im eigenen Aufstellerleben sehr wohl erfahrbaren Widersprüche und Dilemmata nicht künstlich harmonisiert und aus der Welt geschafft. Nützlich und gut ist, was in der Not und zur gegeben Zeit auch zielführend angewendet werden kann.

3. Und drittens ein Wort zur verwendeten Sprache. Es fällt auf, dass zur Beschreibung emotionaler und psychologischer Prozesse oft Metaphern und Funktionsbeschreibungen aus dem Vokabular der digitalen Informationsverarbeitung gewählt wurden. Dies erscheint hier, wie auch bei anderen Methoden wo dies so geschieht, wie eine reflexhafte, instinktive, äußerliche Angleichung an die bedrohliche Realität, die es unter Kontrolle zu bringen gilt. Der Autor warnt auch hier einerseits davor, sich den technischen Logiken und Abläufen kritiklos einfach auszuliefern und andererseits schlüpft er sprachlich und zum Teil eben auch von den vorgeschlagenen Übungen und Einstimmungen her in eine Art technoides Maschinen-Selbst, dass an sich selbst die geeigneten Knöpfe finden und drücken muss, um sich in einen anderen, besseren Arbeits- und Lebensmodus, sprich Mindset,  zu schalten. Das Ganze aber allerdings nur deshalb, um die wache Präsenz, hier Realtime Intelligenz genannt, zu erlangen, aus der heraus ein wenn auch nicht entspanntes, so doch entspannteres Leben, Kreativität und der unverstellte, sprich phänomenologische Blick auf das Geschehen wieder möglich werden sollen. Auch zum Thema Entspannung gibt er dann gute Hinweise für den Leser.

Was dieses Buch und seinen Autor sympathisch macht, ist der Umstand, dass der Ort von dem aus der Autor spricht und denkt, letztlich außerhalb der von ihm benutzten theoretischen und philosophischen Konstrukte, im Bereich des erfahrungsgeleiteten eigenen Menschenverstandes bleibt. Die wirkliche innere Angleichung an die von ihm vorgestellten Techniken und Konzepte bleibt ganz offensichtlich aus oder wird nur soweit als unbedingt nötig, für eine Weile vollzogen. Ein abgeschlossenes, wasserdichtes, in sich zirkulär funktionierendes theoretisches Konzept, dass er der Wirklichkeit als Schutzschild entgegenstellen würde, gibt es nicht. Je länger man seinem kreativen Jonglieren zuschauen darf, umso mehr wächst aber auch das Bedürfnis, die so anschaulich dargelegten produktiven Wiedersprüche einmal etwas mehr zu ordnen und klarer zu benennen. Das wäre dann die Inspiration für ein anderes Buch. Zum Schluss kann aber jeder und jede, wie Klaus P. Horn, seine eigenen Schlüsse ziehen, aus dem, was selbst erlebt und erfahren wurde. Diese Haltung zeugt von innerer Unabhängigkeit und Freiheit. Der Rezensent findet das gut.


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