
Buchbesprechung von Susanne Höhn
Peter Bourquin ist ein deutscher Systemaufsteller, der in Spanien lebt. In der DGfS kennen ihn viele, die regelmäßig an den Treffen in Uslar teilnehmen. Ich hatte ihn seit meinem Beitritt als „unseren Mann in Spanien“ abgespeichert, bis ich ihn persönlich kennengelernt habe. Peter hat mehrere Bücher über Aufstellungsarbeit und spezifische Themen dazu geschrieben, einige mit seiner Ehefrau Carmen Cortés. Nun ist im Innenwelt Verlag sein neues Buch „Von der Dissoziation zur Integration“ erschienen, das er zusammen mit dem spanischen Psychologen Mario C. Salvador herausgegeben hat.
Das Buch besteht aus fünf Kapiteln, von denen zwei von Peter und seiner Frau verfasst wurden. Die übrigen Kapitel stammen von Mario C. Salvador und zwei Schülern von Mario, Jesús Atencia und Judith Climent.
Peter und Carmen leiten mit einer Einführung in den Menschen und sein „inneres System“ das Buch ein. In diesem Kapitel entwickeln sie Ideen, was das Selbst ist, am Beispiel des „Holons“, und was die inneren Teile der Persönlichkeit sind. Sie erklären auf einfache und doch sehr tiefgehende Weise grundlegende Dinge, die in der Aufstellungsarbeit wesentlich sind. Ich habe jeden Satz verschlungen.
Der zweite Beitrag von Peter und Carmen ist das vierte Kapitel, in dem sie beschreiben, wie sie intrapsychische und existentielle Beziehungen zu Tod und Schicksal in ihrer Aufstellungsarbeit einbeziehen. Dies erläutern sie an drei Fällen. Im ersten Fall werden die intrapsychischen Beziehungen der Klientin durch die Repräsentation von inneren Anteilen, in Anlehnung an das in der Einleitung des Buches erklärte „Internal Family Systems“-Modell (IFS) von Richard Schwartz, sichtbar gemacht. Insofern könnte man von einer Kombination der Aufstellungsmethode mit IFS sprechen. In der zweiten Aufstellung kommen existentielle Beziehungen zum Tragen – es geht um Vergebung und den (katholischen) Glauben der Klientin als bestimmendes Motiv für ein leidverursachendes Verhalten. Diesen Aspekt fand ich für mich erhellend, gerade im Hinblick auf die dortige Kultur, die durch die Kolonisation auf den amerikanischen Kontinent übertragen wurde.
Im zweiten Kapitel schreibt Mario C. Salvador über seine von ihm entwickelte „Aletheia“-Methode. Aus meiner Sicht ist diese Methode der IFS-Methode sehr ähnlich. Der Therapeut arbeitet allein mit dem Patienten und leitet diesen an, über seinen eigenen Körper den eigenen, verbannten inneren Anteilen Ausdruck zu verleihen und, aus einer Haltung des inneren Beobachters/Selbst heraus, diese Anteile zu integrieren. Er geht davon aus, dass durch die Anwesenheit und Gesprächsführung des Therapeuten dieser dem Patienten eine „healing bubble“ bereithält, in der Selbstheilung durch „Neuroprocessing“ stattfinden kann.
Als Neuroprocessing wird ein Bewusstseinszustand definiert, in dem durch Mitgefühl und Aufmerksamkeit ein Raum geschaffen wird, in dem die inneren Anteile des Patienten ihre Geschichte erzählen und abschließen können, weil es jetzt jemanden gibt (den Patienten selbst und den Therapeuten), der sie aus einem neuen Blickwinkel betrachtet. Sie unterscheiden dabei fünf Ebenen, auf denen gearbeitet wird: das Kind, das die Geschichte für sich behält; dann das angepasste Kind, das eine Form des Überlebens gefunden hat; der „Abdruck“, den die Geschichte im Verhalten des Patienten hinterlassen hat; als vierte Ebene der gemeinsame Raum zwischen Therapeut und Patient; und zuletzt die Ebene der Präsenz.
Die von Jesús und Judith beigesteuerten Kapitel sind eine Ergänzung zu der Aletheia-Methode. Jesús liefert den „technischen“ Teil, in dem er die jeweiligen Interventionen in einer Therapiesitzung in Zusammenhang bringt mit den fünf Ebenen. Judith schließt das Buch mit einem persönlichen Bericht über ihre eigene Heilung im Rahmen der Therapie bei Mario ab.
Schlussbemerkungen: Aus meiner Sicht haben beide Herausgeber zwei gemeinsame Nenner: ihre Kenntnisse des IFS und der Brainspotting-Methode. Auch im Brainspotting geht man davon aus, dass durch die gleichzeitige Fokussierung auf Körperempfindungen und Augenbewegungen im Zusammenhang mit dem aktivierten, belastenden Thema der körpereigene Heilungsprozess aktiviert und aufrechterhalten wird. Was Peter durch Aufstellungen in 3D bewirkt, macht Mario durch die Anleitung des Patienten, sich nach und nach in alle beteiligten inneren Anteile zu versetzen. Beide arbeiten dabei immer auch mit der dazugehörigen körperlichen Empfindung.
Als Leserin hat mich die Darstellung dieser unterschiedlichen Ansätze zunächst irritiert. Hinzu kam, dass ich mich teilweise als Leserin, teilweise als interessierte Laien und teilweise als Kollegin angesprochen sah. Möglicherweise sind es hier eigentlich zwei Bücher, die zu einem verschmolzen sind. Für interessierte Laien dürfte der technische Part, aber auch das letzte Kapitel mit den Erklärungen zur Entwicklung, wohl zu sehr ins Detail gehen. Als Systemaufstellerkollegin war auch dies interessant für mich.
Allen Kolleginnen und Kollegen, die gerne „über den Tellerrand schauen“, kann ich dieses Buch sehr empfehlen. Es regt zum Nachdenken über das eigene Tun an!

Susanne Höhn, anerkannte Systemaufstellerin und Rechtsanwältin, Regionalsprecherin Bayern-Süd
susannehoehn.de