Ero Langlotz: Darf ich Bert Hellinger als Arschloch bezeichnen?

Dr. Ero Langlotz

In meiner Arbeit mit Menschen, die durch narzisstische Eltern traumatisiert wurden, lernte ich zu unterscheiden: Zwischen einem "gesunden" Wesenskern, dem unverlierbaren "wahren" Selbst - und dem (traumabedingten) Überlebens-Selbst, und zwar sowohl bei den Klient*innen  als auch bei den jeweiligen Elternteilen. Beispielsweise wurde bei einer Klientin deutlich, dass sie sich noch heute nach dem falschen, dem Überlebensselbst des Elternteils orientiert hatte. Und wegen der erlittenen Verletzungen hatte sich selbst und den Elternteil abgelehnt. Als sie sich schließlich in der Aufstellung dazu entschieden hatte, das "falsche Selbst" des Elternteils aus dem eigenen Raum zu entfernen, war das sehr befreiend und löste auch eine lange unterdrückte Wut aus, welche die Klientin bisher gegen sich selber gerichtet hatte = Selbst-Abwertung. Jetzt bot sich die Möglichkeit, die mit den Verletzungen verbundene Ablehnung endlich an die "richtige Adresse" zu geben: an das falsche Selbst des Elternteils. OHNE SCHULDGEFÜHLE! Mit Worten und Emotionen, die damals befreiend gewesen wären: "Du dumme Sau, du blödes Arschloch!"

ERST DANACH  war es der Klientin möglich, sich an das Positive zu erinnern, an die "wahre" Liebe, die sie (zumindest in manchen Fällen) von dem Elternteil erlebt hatte. Diese Liebe konnte sie jetzt annehmen.

Nach einer Supervision mit Bert Hellinger vor 21 Jahren! - bei der er mich vor der ganzen Gruppe abwertete - hatte ich Groll gegen ihn - und gegen mich, dass ich nicht "verzeihen" konnte - und diese Erfahrung setzte ich um auf meine Beziehung zu Hellinger. Die erstaunliche Wirkung: Ich konnte mich selber danach wieder achten. Und ich konnte sehen, wieviel Wertvolles ich Bert verdanke. Ich weiß, dass ich nicht der Einzige bin, der durch ihn verletzt wurde. Daher möchte ich das hier mitteilen. 

Für mich war diese Erfahrung von Befreiung nach 20 Jahren sehr beglückend. Ich denke, da geht es um Psychohygiene und Selbst-Fürsorge. Und ich bin sicher dass sich der "wahre" Bert darüber freut, wenn ich den "falschen" Hellinger als für mich wesensfremd ausgrenze.

Genaueres hierzu erzähle ich im folgenden, 20 minütigem Video. Einen ausführlicheren Text zu diesem Thema findet ihr  hier auf meinen Seiten.

 

Kommentare

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Kommentar von Hildegard Wiedemann |

Hallo Ero,

Wir kennen uns nur flüchtig von einem Regionaltag in Bayern.
Dein Beitrag regt mich an meinen Umgang mit Verletzungen für mich und meine Klient*innen zu reflektieren.

Deine Unterscheidung zwischen einem falschem Selbst, zu dem die Täter*in Anteile gehören und dem wahren Selbst ist für mich stimmig.

Du beschreibst, dass es für dich und deine Klient*innen hilfreich ist, die durch eine Verletzung entstandene Wut, die aufgrund von Loyalität unterdrückt wurde (zu Eltern, Bert), dem falschen Selbst der Verletzer*in mit Schimpfworten ins Gesicht zu schleudern. Dazu nimmst du „Du-Botschaften“. Hab ich dich richtig verstanden?

Im letzten Jahrhundert haben wir mit Tennisschlägern auf Matratzen unsere Wut rausgeschrien, die wir durch unsere Verletzungen durch die Eltern/Erzieher erfahren haben, begleitet von Du-Botschaften und Schimpfworten.
Im Moment wirkte das entlastend, doch in der Tiefe hat es meinen Schmerz nicht geheilt.

Meinen Klient*innen und mir tut es gut, den Anteil der Täter*in im Gegenüber wahrzunehmen und den eigenen Schmerz, der unter der Wut liegt. Die Trennung von Täter*in und Wut/Schmerz erlebe ich hilfreich. In der Wut und der Beschimpfung mit Du- Botschaften wird die Täter*in fokussiert, was ich kontraproduktiv erlebte.
Während der Mitteilung der eigenen Verletzung/ Wut/ Scham/ Schmerz liegt der Fokus auf dem verletzen Menschen. Dadurch geschieht bereits Trennung: Anteil Täter*in/Du - Ich/eigener Anteil Wut/Schmerz. Für mich geschieht die Trennung, durch das Überlassen der Verantwortung bei dem Anteil „Täter*in“ . Gleichzeitig geschieht die Zuwendung zu der eigenen Wut und der Wahrnehmung des Schmerzes, der darunter liegt. Ihn auszudrücken und anzunehmen als Teil des eigenen Lebens erlebe ich immer wieder heilend. Wird der Schmerz durchlebt, verschwindet die Wut von selbst. In der Annahme des Schmerzes geschieht die Verbindung mit dem eigenen wahren Selbst. Ich erlebe diesen Weg lösend für meine Klientin*innen und mich. Er kann zur Dankbarkeit für die Verletzung führen, da sie die eigene Entwicklung angestoßen hat.

So höre ich es auch bei dir am Schluss.
Unterschiedliche Wege.

Danke

Hildegard