- Fälle und Erfahrungen
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Reihe: Aus der Praxis
Vorbemerkung der Redaktion:
Bei uns Aufstellern und Aufstellerinnen gibt es vielfältige Expertise in Erst- und Nebentätigkeiten, die in unserer Art, Aufstellungen zu leiten einfließen. Es gibt dabei kleine Berührungspunkte oder größere Schnittflächen, es ist ein Unterschied, wenn jemand jahrelang als Juristin gearbeitet hat, als Sozialarbeiter, Tanzpädagogin, Eltern oder wie in dem nachfolgenden Beitrag als Künstler im fotografischen Bereich. Auch in der Redaktion sind wir aus unterschiedlichen, und jeweils gut anschließbaren, beruflichen Bereichen gekommen: Oliver Netter kennt das phänomenologische und individuelle Arbeiten aus der Graphologie, ich bin Stimmcoach und Sängerin mit Wahrnehmung auf Stimmigkeit, Resonanz und dem Phänomen der Improvisation. Wir haben in unseren Reihen Homöopathinnen, Pferdewirte, Meditationslehrende, Ökonomen oder Polizistinnen ... Diesen daraus entstehenden vielfältigen Perspektiven und Arbeitsweisen möchten wir Raum geben, Austausch und Inspiration zur Arbeitspraxis anregen sowie die Unterschiedlichkeit im Aufstellen auch vor diesem Hintergrund reflektieren.
Für diese Reihe interessieren uns deshalb Fragen wie:
- Was ist nützlich für beide Bereiche?
- Welche Sensibilisierung haben wir jeweils erlangt und durch was?
- Wo entstehen Wechselwirkungen oder was ist schwierig?
- Welche Techniken, welches Handwerk haben wir in einem Metier gelernt, die/das wir ins Aufstellen übertragen können...?
Wir führen Gespräche per Video oder (Telefon-)Interview oder nutzen schriftliche Beiträge. Melden Sie sich gerne, wenn Sie hierzu etwas beitragen möchten.
"Es sich entwickeln lassen..."
Extrakte aus einem Gespräch mit Ludwig Watteler
"Die richtige Einstellung...", "einen anderen Blickwinkel einnehmen...", "den Fokus auf etwas richten...", "Raumwahrnehmung einbeziehen...", "im Schatten stehen...", "es sich entwickeln lassen..." solche visuellen Metaphern könnten sowohl hier in der PdS im Rahmen eines Beitrages zum Aufstellen Sinn machen, als auch in einem Beitrag zu finden sein, der von Fotokunst handelt ...
Selbstverständlich wird je etwas anderes damit beschrieben, doch es gibt Schnittstellen mit einem Erfahrungsfeld, auf dem sich Fotografen oder Fotokünstlerinnen mit Menschen, die Aufstellungen leiten, gut austauschen könn(t)en.
Sowohl in der fotografischen "Ablichtung" einer Szene oder eines Subjektes/Objektes wie im Betrachten einer Aufstellung gibt es Elemente wie den richtigen Moment, oder das Erfassen von Bedeutung sowie das individuelle "Bedeuten" dessen, was wahrgenommen wird selbst und ähnliches. Dies alles sind Komponenten des "Handwerkes" selbst, der künstlerischen oder der aufstellerischen Praxis. Und alle diese Handlungen führen je zu Entscheidungen in der weiteren Ausführung der Arbeit. Sie reihen sich Schritt an Schritt und werden zum Foto oder zum "Schlussbild" bei einer Aufstellung.
Ludwig Watteler und ich haben uns lange über diesen Prozess unterhalten, ich fasse hier die interessantesten Abschnitte zusammen. In dieser Reihe sind dann im Weiternen Audio-Interviews geplant.
Der Intuition folgen
Ludwig Watteler war als gelernter Fotograf und Grafiker lange in der Werbebranche und der Produktfotografie tätig, in der es primär nicht um Intuition geht, sondern darum, Erwartungshaltungen der Auftraggeber in Bezug auf die Darstellung eines Produktes umzusetzen.
Die Intuition, die wir in der Begleitung mit Menschen entwickeln, wurde für Ludwig erst nach und nach immer wichtiger, vor allem, als er bereits in der Ausbildung zum Systemaufsteller war. Er erinnert sich an ein Auto-Shooting, das bereits abgeschlossen werden sollte, es fehlte allerdings der letzte Blick darauf. Den hat Ludwig gegeben, mit dem Resultat, dass der zwei volle Stunden dauerte und daraufhin die Perspektive auf das Produkt so geändert wurde, dass die Betrachtenden mehr in die Szene gerieten und mehr auf Augenhöhe waren. Diese Art des Einsatzes und dem Folgen der Intuition hat Ludwig für die Fotografie beibehalten. Er beschreibt das als eine Art, in sich hinein zu spüren, die Atmosphäre des Objektes und der Situation in seine innere Weite aufzunehmen um den Moment zu bemerken, der für den Auslöser der richtige ist. Bei der Serie der Gipfelkreuze hat es das so vollzogen, manchmal direkt nach einem schwierigen Aufstieg, manchmal mit einigem Warten. Geduld zu üben, Zeit hin zu geben sowie den richtigen Moment abzupassen kennt er auch aus den alten Tagen der händischen Entwicklung von Fotos im Labor. Nach vielen eher pragmatischen Berufsjahren im Business hat er durch die Aufstellungsarbeit das phänomenologische Sich-Öffnen in den Raum des Geschehens erfahren sowie das (an-)erkennen dessen, was sich dann zeigt. Diese so erfahrene Wahrhaftigkeit versucht er in die Fotografie mit zu nehmen. Er versucht zum Beispiel bei den Gipfelkreuzen in den Dialog mit den Objekten zu gehen, möglichst ohne Umgebung auf der gleichen Ebene, anderen Bergen, Tieren oder Menschen. Nur Himmel und Wolken als Hintergrund spielen noch eine Rolle und, ja, die Intuition für den "magischen Moment ", der, der das Wesentliche des gefühlten Augenblickes wiedergibt. Ludwig Watteler hat die Rückmeldung bekommen, dass die Betrachtenden der Fotos diese Tiefe wahrnehmen können - auch wenn es - im Gegensatz zu Marketingfotos - nicht im Mittelpunkt steht, für die Betrachtenden eine bestimmte Reaktion zu erzeugen.
Das Sehen
Fotografierende betrachten, sie schauen genau, sie sehen Bilder und Kompositionen. Diesen Sinn geschult zu haben, hat bei Ludwig Watteler wiederum in die Aufstellungsarbeit hinein gewirkt. Er ist sehr aufmerksam auf kleinste Blicke, Gesten und Konstellationen und nutzt in seiner Arbeit daher auch nonverbale Elemente gerne, wie verdeckte Bodenanker mit Fotografien, die dann neue Impulse geben. Auch ob ein Schlussbild stimmt, "sieht" er mit fotografischer Expertise und "fühlt" das es passt.
Begegnung
In der Fotografie mit Menschen, die etwas Persönliches von sich zeigen und die das Fotografiert-Werden in dieser Privatheit nicht gewohnt sind, seien, so Watteler, die Fähigkeiten Begegnungen auf Augenhöhe zu schaffen sowie eine Atmosphäre des Vertrauens ineinander zu fördern besonders nötig. Die Nahbarkeit miteinander, die wir für die Aufstellungsarbeit brauchen, und zwar unabhängig von unserer Funktion als Klient, Aufstellungsleiterin oder Gruppenteilnehmende, haben Ludwig Wattelers Fotostrecken mit Menschen besonders bereichert. Die Männerprojekte "So sieht es gerade bei mir aus" und "Männer an ihrem Platz" brauchten dieses Vertrauen und diese Sensibilität, denn in dieser gemeinsamen Arbeit sollte kein "sich aufmanteln" stattfinden, sondern eine Selbstbegegnung des fotografierten Mannes mit seiner aktuellen Situation oder einem Ort, an dem er sich gerne aufhält.
Bei einem Fotografen sind natürlich Bilder sehr beredt. Deshalb folgen 4 Fotografien aus den hier genannten Reihen "Männer an ihrem Platz", "So sieht es gerade bei mir aus", und "Gipfelkreuze".
"Ich dachte mir: 'Na, das wird ja interessant!' Im Telefonat erwähnte 'Er', dass er als Biker authentisch sein möchte. Mit diesem Geheimnis kam der Mann zum Fotoshooting. Die Begegnung war tiefgründig und fesselnd, denn das Tattoo war echt und transportiert viel Geschichte. Kaum jemand sieht seinen Rücken. Ich war dankbar für sein Vertrauen und seine Offenheit.
Im Vorgespräch war es mir wichtig, wahrhaftig und klar zu sein. Nur so konnte ich die emotionale Energie und die zwischenmenschliche Verbindung herstellen, die für das Bild erforderlich waren. Es sollte Kraft, Freude und Würde transportieren.
Das Gefühl der Verbundenheit. Die Vergänglichkeit. Die winterliche Kälte und die Stille ließen mich innehalten.
Durch diesen Blick und Perspektive entstand eine Atmosphäre der Spannung und Neugierde.
Ludwig Watteler, anerkannter und zertifizierter Systemaufsteller (DGfS) mit eigener Praxis in Gräfelfing bei München, Fotograf. https://systemaufstellungen.myportfolio.com
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