• Fälle und Erfahrungen

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Leidvolle Liebschaften

Dr. med. Dipl. Biol. Birgit Hickey

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Fallvignette zum Thema Dreiecksbeziehungen durch übernommene Schicksalsbindungen

„Ich gerate immer wieder an denselben Typ Mann, der nicht frei ist“, so beklagt Frau S., 50 J., ihre missliche Situation in der ersten Sitzung in meiner Praxis, „entweder er ist verheiratet oder in einer anderen Form von Partnerschaft gebunden und kann sich nicht ganz für mich entscheiden. Obwohl mir das bewusst ist und mir nicht guttut, kann ich mich nicht trennen und setze viel ein, um diese Dreiecksbeziehungen aufrecht zu erhalten.“

An diesem typischen Fallbeispiel einer Patientin möchte ich zeigen, wie erst durch die systemische und familienbiographische Arbeit die dahinterliegenden (unbewusst wirkenden) Schicksalsbindungen im Familiensystem aufdeckt und gelöst werden konnten und damit das leidvolle und frustrierende Muster unterbrochen wurde. 

Seit ihrem 22. Lebensjahr hatte Frau S. immer wieder Paarbeziehungen mit verheirateten bzw. gebundenen Männern und war auch nach der Geburt ihrer zwei Kinder selbst nie verheiratet. Insgesamt ist sie der Überzeugung, dass in einer Beziehung „keine Entwicklung möglich“ ist.

Aktuell befindet sie sich wieder in einer Trennungsphase zu einem Mann, der verheiratet ist und der zwar an der Beziehung zu ihr festhalten aber sich nicht von seiner Frau trennen und sich nicht ganz auf sie einlassen möchte.

Sie habe Angst, krank zu werden, befürchtet Frau S., wenn sie weiter in dieser Dreiecksbeziehung bleibe, deshalb möchte sie das Thema jetzt – nach mehreren psychotherapeutischen Versuchen – mit dem systemischen Ansatz klären.

Ziel ist eine erfüllte Beziehung zu einem Mann, der wirklich frei ist.

Die Patientin ist die älteste von insgesamt 3 Kindern.

Bei der Erstellung und familienbiographischen Analyse ihres Genogramms fällt auf, dass es in Bezug auf ihre aktuelle Thematik mehrere Paarbeziehungen in ihrem Herkunftssystem gab, die „sich nicht weiter entwickeln konnten“ (s. Abb.):

- Die Großmutter mütterlicherseits (GMm) musste bis an ihr Lebensende zwei aufeinanderfolgende Außenbeziehungen ihres Ehemannes erdulden.

- Die Großmutter väterlicherseits (GMv) verlor ihre beiden Ehemänner durch frühen Tod.

Auffallend ist, dass die Abbrüche der Paarbeziehungen bzw. der Start einer Außenbeziehung bei den Vorfahren mit entsprechenden Einschnitten im Leben der Patientin altersmäßig korrelieren: das heißt, jeweils in demselben Alter wie ihre Ahninnen erlebte sie das Ende bzw. den Beginn einer neuen, dann frustrierenden Partnerschaft. 

Die Patientin, der diese Zusammenhänge während der Genogrammarbeit erstmalig selbst bewusst werden, fragt erstaunt, ob sie möglicherweise in ihren Dreiecksbeziehungen z.B. die Schicksale der außerehelichen Partnerinnen des Großvaters mütterlicherseits (GVm) wiederhole. Diese Erkenntnis wirkt sich unmittelbar sichtlich entlastend auf die Patientin aus: sie nimmt wahr, dass ihr bisher für sie nicht nachvollziehbares und auch schuldhaft erlebtes Verhalten auf einmal – in einem größeren Kontext - einen „Sinn“ macht und sie mit ihren Vorfahrinnen verbindet. Außerdem eröffnet sich ihr jetzt die Perspektive, sich aus der Wiederholung der Situation selbst befreien zu können, statt ihr wie bisher hilflos und ohnmächtig ausgeliefert zu sein.

Bild: Skizze aus dem Genogramm mit den übernommenen Schicksalsbindungen der Patientin 

In der nachfolgenden Aufstellungsarbeit im Einzelsetting bestätigt sich ihre Vermutung: vor allem in den Positionen der Frauen in den Außenbeziehungen des GVm erlebt sie genau dieselben Gefühle wie ihren eigenen, unfreien Partnern gegenüber: Gefühl der Ohnmacht, Minderwertigkeit, nur die Zweite zu seineinem gebundenen Mann gegenüberder sich nicht entscheidet. Aber auch in der Rolle ihrer GMm nimmt sie die ihr bekannten Gefühle wahr, andere Frauen neben sich erdulden zu müssen.

Am Platz ihrer GMv kommen eher Ängste hoch und das Gefühl, sich nicht ganz einlassen zu können, „weil ich meinen Mann ja doch wieder verliere“.

Nach dieser Erkenntnis, entsprechender Rückgabe- und Würdigungs-Rituale und Einnahme ihres eigenen Platzes im Lösungsbild der Aufstellung war sie dann im weiteren Verlauf in der Lage, sich endgültig von ihrem aktuellen Partner zu trennen, in anderer Form auf eine Paarbeziehung zuzugehen und dadurch einem wirklich „freien“ Mann zu begegnen, mit dem auch Entwicklung möglich ist.

Besonders hilfreich sei für sie gewesen, teilte mir die Patientin später mit, dass sie nach der Genogramm- und Aufstellungsarbeit jetzt klar zwischen übernommenen und ihren eigenen Gefühlen unterscheiden könne. Als unterstützend habe sie dabei empfunden, sich selbst, die Großmütter und die Frauen in den Außenbeziehungen mit ihren jeweiligen Schicksalen als eigenständige Personen zu visualisieren und sich damit auch klar mit dem zu ihrem Platz und ihrer Person gehörigen, stimmigen Gefühl wahrnehmen zu können. So sei sie jetzt, im Gegensatz zu früher, in der Lage, ihre eigenen Bedürfnisse – v.a. gegenüber Partnern – ohne Schuldgefühle auszudrücken und zu leben. Und sie sei einfach nicht mehr interessiert an unfreien, gebundenen Männern.

Auch an diesem Patientenbeispiel wird deutlich, dass Schicksalsbindungen in Form von Übernahmen von sog. Stellvertretungsaufgaben offensichtlich nicht zufällig, sondern nach bestimmten Regeln erfolgen.

Alters- und symptombezogene Ähnlichkeiten in Relation zur jeweiligen Position im Familiensystem lassen sich mit Hilfe der Genogrammanalyse und den folgenden drei familienbiographischen Fragen aufdecken:

  1. Warum hat der Patient* gerade jetztin diesem Alter, das Problem?
  2. Warum gerade so, mit dieser Symptomatik?
  3. Warum gerade hier, an diesem Platz im Familiensystem?

 (nach V.v. Weizsäcker, R. Adamaszek)

Typischerweise übernehmen dabei erste Kinder Stellvertretungsaufgaben auf der Ebene der Großeltern und zweite Kinder auf der Ebene ihrer Eltern usw. („Stellvertretungsordnungen“). Dies geschieht geschlechtsspezifisch und kann die Vorfahren in ihrer Position und Funktion als Kinder ihrer Eltern, als Schwester bzw. Bruder in ihrer Geschwisterreihe, als Partnerin eines Partners/als Partner einer Partnerin und als Elternteil von eigenen Kindern betreffen.

Bezogen auf unser o.g. Beispiel zeigt sich, dass die Patientin:

  • gerade jetzt, mit 50 J., in dem Alter, als ihre GMv Witwe geworden ist, in die Praxis kam
  • gerade so: mit der Problematik „leidvolle Paarbeziehungen“
  • gerade hier: als 1. Tochter die Stellvertretungsaufgaben auf der Ebene ihrer Großmütter übernommen hat

Zusammenfassend von Frauen:

  • die Außenbeziehungen neben der Ehe erdulden mussten (GMm)
  • die in der Rolle der Außenbeziehung waren (Partnerinnen des GVm) und sich so mit dem „nur 2. Platz“ zu begnügen hatten
  • in der Hoffnung, dass sich der Mann doch noch entscheidet
  • die durch den frühen Tod ihrer Männer zweimal Witwe geworden sind (GMv)

Frauen, die in Schicksalsbindung zu Vorfahrinnen stehen, deren Paarbeziehung(en) früh beendet waren u./o. nicht in aller Fülle gelebt werden konnten, sind of ambivalent gegenüber eigenen Partnerschaften: einerseits wünschen sie sich einen Partner, andererseits sind sie nicht ganz frei dafür und geraten dann - oft mehrfach - in Dreiecksbeziehungen typischerweise mit Männern, die sich ebenfalls nicht ganz einlassen können oder wollen. Entsprechende Genogrammanalysen decken dann auf, dass diese Männer in ähnlicher Weise mit ihren Vorfahren verbunden sind, z.B. zu einem Vater oder Großvater, der - bedingt durch Tod u.o. Außenbeziehungen in einer bestehenden Ehe - mehrere Frauen hatte.

Dreiecks- und Außenbeziehungen können leidvoll für alle Beteiligten sein und dennoch langjährig halten oder sich mehrfach wiederholen. Wie z.B. Jellouschek schreibt, tragen sie sogar dazu bei, Ehen zu stabilisieren. In seinem Entwicklungsmodell zu Paarbeziehungen gibt es 5 Entwicklungsphasen (1. Phase der Verschmelzung, 2. Phase des Widerstands gegen die Verschmelzung, 3. Phase der Distanzierung und Differenzierung, 4. Phase der Wiederannäherung und 5. Phase der Vereinigung auf einer reiferen Stufe). In Phase 1-4 ist ein „Steckenbleiben“ möglich, das zu einer jeweils typischen Entwicklungskrise führt. Diese kann z.B. in Dreiecksbeziehungen zum Ausdruck kommen. Ist beispielsweise ein Paar in der Widerstandsphase steckengeblieben und in einen unfruchtbaren Kampf um unerfüllte Bedürfnisse verstrickt, streitet es typischerweise häufig, da es nicht auf positive Weise Distanz halten kann. Der Streit führt immer wieder zur Abgrenzung, aber nicht zu einer echten Distanzierung,- man stößt sich immer wieder nur soweit voneinander ab, dass man sich selber spüren kann, aber kommt nicht wirklich auf eigene Füße. In dieser Phase dient der oder die Dritte als „Kampf- und Abgrenzungsmittel“ und auf diese Weise der Stabilisierung der Ehe.

Er oder sie trägt dazu bei, dass beide Ehepartner nicht auf das eigentliche Problem schauen und sich auch nicht den jeweils eigenen Anteilen an der Situation stellen müssenund dient sozusagen als „Ventil“. Der oder dieDritte ist nur solange interessant, bis das dahinterliegende Thema bearbeitet ist und wird dann oft wieder „entlassen“. Bleiben die - bei allen Beteiligten zur Bearbeitung anstehenden - Probleme ungeklärt, ist die Gefahr groß, dass sich das Muster hält bzw. sich in der nächsten(Dreiecks-)Beziehung wiederholt.

Werden jedoch die je nach Phase unterschiedlichen anstehenden Entwicklungsaufgaben gelöst, ist das Erreichen der nächsten Ebene möglich. .

Es gibt verschiedene therapeutische Zugangsweisen, leidvolle Paar- bzw. Dreiecksbeziehungen zu bearbeiten: Die Beleuchtung der Entwicklung der Paarbeziehung selbst kann wie erwähnt weiterhelfen und auch die Aufdeckung unheilvoll weiterwirkender Bindungsthemen zu den Eltern. Vor allem auch bei „therapieresistenten“ Problemen lohnt sich die Weitung des Blickes in das jeweilige Herkunftssystem der Beteiligten sehr. Wenn – wie oben besprochen – transgenerationale, familienbiographische Aspekte mit einbezogen und übernommene Stellvertretungsaufgaben gelöst werden, ist der Weg geebnet, auch auf der Verhaltensebene Änderungen vornehmen und sich dann als Frau bzw. Mann uneingeschränkt auf eine Paarbeziehung einlassen zu können.

* Der im Text verwendete Begriff „der Patient“ steht sowohl für die weibliche als auch für die männliche Form. Die persönlichen Daten wurden geändert.

Literatur:

  • Adamaszek, R.Familienbiographik, Therapeutische Entschlüsselung und Wandlung von Schicksalsbindungen, Carl-Auer-Systeme 2001, S. 99 ff
  • Jellouschek, H.: Die Rolle der Geliebten in der Dreiecksbeziehung, Kreuz Verlag 1995, S. 49 ff
  • ders.: Warum hast du mir das angetan? Untreue als Chance, Piper 1997, S. 76 ff 
  • Hess, Th.: Lehrbuch für die systemische Arbeit mit Paaren, Carl-Auer-Systeme 2006, S. 85 ff
  • Hickey, B.: Symptome in Stellvertretung, in: Praxis der Systemaufstellung 1/2016, S. 70 ff

Dr. med. Dipl. Biol. Birgit Hickey

Fachärztin für Allgemeinmedizin und Diplom-Biologin mit eigenen Praxen in Bonn und Münster. Tätigkeitsschwerpunkte: Systemische Medizin und – Familientherapie, Psychosomatik, systemische Kommunikation und - Mediation.

www.birgit-hickey.de, info(at)birgit-hickey.de

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