• Die Kunst des Aufstellens

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Die Wirkung von Sprache in der Aufstellungsarbeit

Heiko Hinrichs

von Heiko Hinrichs

Einleitung

Mein Anliegen ist es zu verdeutlichen, wie vielschichtig Sprache – und eine damit verbundene innere Haltung - im therapeutischen Kontext, exemplarisch in der Aufstellungsarbeit, wirken kann. Sowohl in der verbalen Form als auch auf nonverbale Weise finden Resonanzprozesse zwischen der Aufstellungsleitung, den Aufstellenden sowie auch anderen Mitwirkenden (z.B. in einem Aufstellungsseminar) statt. Die jeweils ausgetauschten Botschaften und Intentionen wirken nicht nur mental und psychisch, sondern auch auf der körperlichen Ebene, besonders im Autonomen Nervensystem. Unterschiedliche Wahrnehmungen sind vorprogrammiert, Missverständnisse unvermeidlich, auch wenn sie nicht immer kommuniziert werden. Diese Prozesse bewusst zu berücksichtigen und situativ flexibel zu gestalten, eröffnet aus meiner Sicht nachhaltige Möglichkeiten für eine wirksame und heilende Erfahrung aller Beteiligten.

In der professionellen Therapie und Beratung, aber auch in der Alltagskommunikation zwischen Menschen ist die Sprache an sich, die Intention und folgende Wortwahl von zentraler Bedeutung. Paul Watzlawick formulierte die Erkenntnis, dass sich zwischenmenschliche Beziehungen anhand von Kommunikation beobachten und beschreiben lassen (Watzlawick, 1969, S. 53ff.).

Auch Friedemann Schulz von Thun (1981) hat auf die Vielschichtigkeit von sprachlichen Ausdrucksformen und Botschaften hingewiesen. Das Kommunikationsquadrat (auch Nachrichtenquadrat, Vier-Seiten- oder Vier-Ohren-Modell genannt) ist ein Modell, mit dem eine Nachricht unter vier Aspekten oder Ebenen betrachtet werden kann:

Es beinhaltet die Sachebene (der Informationsgehalt), die Selbstoffenbarung oder Selbstkundgabe (was ich von mir selbst zu erkennen gebe), den Beziehungshinweis (was ich von dir halte und wie ich zu dir stehe) und den Appell (was ich bei dir erreichen möchte).

Auch wenn die Botschaften auf diesen Ebenen zum großen Teil unbewusst ablaufen, sind sowohl Sender als auch Empfänger für die Qualität der Kommunikation verantwortlich, wobei die unmissverständliche Kommunikation der Idealfall ist und nicht die Regel (Schulz von Thun 1981, S. 25-30). „Die Sprache und die Art der Kommunikation ist deshalb sowohl der Quell unserer Verständigung als auch Quelle vieler Missverständnisse“ (Andrecht, 2019).

Traditionell gilt die Psychotherapie als „talking cure“, als Heilverfahren also, das wesentlich über Sprache operiert (Marx, Benecke & Gumz, 2020, S.1ff.).

Was sage ich wann, wie formuliere ich, wann höre ich wie zu? (Andrecht, 2019)

Andrecht (2019) empfiehlt eine „innere Haltung“ [des Therapeuten], „verbunden mit dem Wissen um bestimmte ‚Regeln‘ der Kommunikation und einer Intuition für Stimmigkeit“:„Stimmigkeit können wir hier nach Schulz von Thun als eine Kombination von Authentizität mit seinen Schwestertugenden Taktgefühl, Sensibilität und Diplomatie verstehen“. Er führt weiter aus, dass die „innere Haltung für wertschätzende Kommunikation“, die „Resonanz mit sich selbst und seinen Gefühlen“ zu sein als auch „in Resonanz mit dem Gegenüber“ sowie „wertschätzendes Zuhören“ beinhalte. In den „Regeln der Kommunikation [würden] Worte von unserem Gegenüber aufgenommen, verarbeitet und interpretiert und im Rahmen dieser Prozesse Botenstoffe, z.B. Hormone ausgeschüttet: „Jedes Wort wird zu direkter Physiologie. [...] So kann ein Wort in ‚guter Absicht‘ oder unbeholfen aufgrund eigener Unsicherheit ausgedrückt zu einem gegenteiligen Effekt und damit zu einer negativen Reaktion oder Erwartungshaltung des Patienten führen und u.a. Ängste induzieren oder verstärken.“


Der Kontakt über Sprache

Die Menschen, die zu uns in die Einzelberatung, in ein Seminar oder einen Workshop kommen, befinden sich oft in einer fragilen Innen- und Außenwahrnehmung, welche das zentrale Bedürfnis nach Orientierung und Sicherheit beinhaltet. Darüber hinaus wird die eigene Verarbeitungsfähigkeit in Bezug auf Situationen, die als zu viel, zu schnell und zu plötzlich erfahren wurden, wiederholt herausgefordert. Das heißt, hier kann unser angeborenes lebenserhaltendes Programm unwillkürlich mit Angriff (z.B. gereiztem, aggressiven Verhalten), Flucht (unruhige Beine, Abwehrbewegungen, Suche nach Fluchtmöglichkeiten, z.B. Fenster und Türen) oder auch mit einer Schreckstarre (Totstellreflex) reagieren.

Bezugnehmend auf die Sprache in Beratung und Therapie ist es somit meines Erachtens sinnvoll, die von uns Beratern / Therapeuten vornehmlich verbal ausgesprochenen Interventionen (Fragen, Kommentare, Metaphern, Alliterationen, Paradoxien, usw.) auf das Verständnis und die Reaktionsmöglichkeiten des Klienten hin zu überprüfen – entweder durch entsprechendes direktes Nachfragen („Wie geht es Ihnen gerade damit, was empfinden Sie?“) oder mittels indirekter sprachlicher Einladung („Ich frage mich gerade, was in Ihnen vorgeht“). Im anderen Fall besteht die Gefahr, dass sich Therapeut und Klient sowohl sprachlich als auch in der Wahrnehmung weiterhin auf unterschiedlichen Ebenen befinden und sich somit missverstehen.

Dieses Missverständnis wird oft nicht aufgelöst. Zum einen, weil der Klient 'folgsam' ist, unter Umständen den 'Fehler' bei sich sucht und ohnehin an seiner Wahrnehmung zweifelt. Er passt sich – zumindest äußerlich - dem Therapeuten an, geht aber zuweilen in die 'innere Emigration' und ist dann nur noch partiell erreichbar. Ein anderer Klient mag opponieren (und setzt damit Grenzen), und kann dann als 'anstrengend' oder 'eigensinnig' in der Wahrnehmung des Therapeuten gelten. 

Der Therapeut wiederum kann das nicht als solches erkannte Missverständnis auf die Grundproblematik des Klienten zurückführen und seine bisherigen Maßnahmen als bestätigt ansehen oder er zweifelt selbst an sich und mag gegebenenfalls mit einer Gegenübertragung reagieren.

Ebenso die verbreitete Neigung des Therapeuten, dem Klienten auf eine Art 'helfen zu wollen', wäre somit kontraindiziert. Ein sich gegenseitig aufbauendes Vertrauen darin, dass der Klient auf seine Art und Weise zu seiner Zeit, die für ihn passenden Schritte, mit der ihm zur Verfügung stehenden Kraft gehen kann, und der Therapeut dem Klienten die für ihn angemessene und mögliche Unterstützung auch geben kann, kann einen adäquaten Veränderungsprozess auf beiden Seiten ermöglichen.

Der Mediziner, Psychotherapeut und Neurowissenschaftler Joachim Bauer spricht davon, dass zwischen zwei Menschen stets Resonanzprozesse stattfänden. Die Signale, die von einem Menschen ausgehen, erreichen den Anderen und verändern ihn. Dieser Prozess findet wechselseitig statt und beeinflusst uns somit gegenseitig (Bauer, 2019).


Stresserfahrung

Laut Andrecht (2019) befinden sich „Patienten oft in einer Situation, in der ihr Körper sich schon vor dem Arzt- oder Therapeutenbesuch in einem Stresszustand befindet. In dieser ‚Extremsituation‘ werden Worte anders verarbeitet. Vereinfacht ausgedrückt schaltet sich das Großhirn in Stresssituationen aus und alte Hirnstrukturen [das Stammhirn oder Reptiliengehirn] übernehmen das Steuerrad“.

Formulierungen [des Therapeuten] mit „Verneinungen und Verkleinerungen“ könnten vom „Gehirn [des Patienten] nicht adäquat verarbeitet werden, besonders nicht in Stress Situationen“: „Sie brauchen keine Angst haben“ - besser wäre z.B. „Ich bin bei Ihnen, bleiben Sie ruhig, Sie sind in Sicherheit, lassen Sie sich Zeit“, usw.

Ich denke, viele von uns kennen auch die Begegnung mit Hundehaltern, die oft standardmäßig ihr: „Der tut nichts,“ verkünden…

Weitere Hinweise von Andrecht beziehen sich auf die „negative Fokussierung der Aufmerksamkeit“ (‚Sie sehen aber gestresst aus‘, ‚da ist aber viel Spannung drin'), sowie die Vermeidung von „doppeldeutigen, ironischen und sarkastischen Worten und vermeintlichen ‚Lebensweisheiten‘“. Hinzufügen möchte ich noch die zumindest früher in der Aufstellungsarbeit praktizierten Deutungen, Generalisierungen („alle Männer mit Bart sind Muttersöhne“) und explizit formulierten oder impliziten Kausalzusammenhänge („du hast dein Problem, weil dein Großvater damals…“).

Wie Stress entsteht: Adrenaline und Noradrenaline steigern die Aktivität und auch die (positive) Erregung. Diese „gute Form“ wird als Eustress bezeichnet. Wenn der Stress jedoch weiter steigt, entstehen Cortisole, die ab einem bestimmten Level die Hirnaktivitäten lähmen. Der Mensch wird vom Stress überwältigt, in dieser belastenden Ausprägung Distress genannt. In der Wiederherstellung von menschlichem Kontakt werden Oxytocine ausgeschüttet, welche wieder Sicherheit und Vertrauen aktivieren (vgl. Roth, 2011).

Zusammengefasst „wird das sympathische Nervensystem bei Stress (Gefahr) aktiviert und versetzt den Körper in die Bereitschaft für Kampf und Flucht [Mobilisation]. Der dorsale Zweig des Vagusnervs reagiert bei Lebensbedrohung mit einer Immobilisation („Totstellreflex“), der ventrale Zweig hingegen wird in sicherer Umgebung aktiviert und steuert das Sozialverhalten, Stimme, Augenbewegungen, einige innere Organe und Annäherung und Ablehnung.“ (Kaufmann Gunz, 2005).

Das Nervensystem

Um ein tieferes Verständnis für mögliche Reaktionen von Klienten auf unsere verbalen und auch nonverbalen Interventionen zu ermöglichen, ist es sinnvoll, sich mit dem Teil des menschlichen Organismus, welcher der Reizwahrnehmung, der Reizverarbeitung und der Reaktionssteuerung dient, zu befassen - unserem Nervensystem.

„Die Hauptfunktionen des Nervensystems liegen in der Steuerung der Tätigkeit der Eingeweide und Skelettmuskulatur, der Kommunikation zwischen dem Körperinneren und der Umwelt einschließlich der schnellen Anpassung an Veränderungen im Inneren und in der Außenwelt sowie der Ausübung von komplexen höherwertigen Funktionen (Gedächtnis, Denken, Emotionen)“ (Antwerpes, 2019).

Für unsere Betrachtung ist der Teil des Nervensystems, der das Autonome Nervensystem (ANS) oder auch vegetative Nervensystem genannt wird, hinsichtlich seiner Struktur und seinen Reaktionsmöglichkeiten maßgeblich. Es ist weitgehend der willkürlichen Kontrolle entzogen, verhält sich somit "autonom".

Das ANS wiederum wird unterteilt in den sogenannten sympathischen Teil (Sympathikus), welcher den Organismus auf körperliche und geistige Leistungen (Aktivitätssteigerung, Erregung) vorbereitet, den parasympathischen Teil (Parasympathikus), der Ruhe- und Regenerationsphasen steuert (Aufbau von Energiereserven, inneres Gleichgewicht / Homöostase) sowie dem enterischen Nervensystem (sog. „Bauchhirn“).

„Bisher war es in den medizinischen Wissenschaften unbestritten, dass unser Autonomes Nervensystem unterteilt ist in einen zweigeteilten sympathischen Teil und einen parasympathischen oder vagalen Teil der das Ruheverhalten steuert.“ (Kaufmann Gunz, 2005) Vagal bedeutet den zehnten Hirnnerv, den Vagusnerv betreffend. Dieser ist der größte Nerv des Parasympathikus und an der Regulation der Tätigkeit fast aller inneren Organe und unbewusst ablaufenden Körperfunktionen beteiligt.

Der Wissenschaftler Stephen W. Porges (2010, 2018) fand nun heraus, dass der parasympathische Ast des ANS (Vagusnerv) ebenfalls zweigeteilt ist: in einen dorsalen und einen ventralen Zweig. Der rückseitige (dorsale) Zweig ist stammesgeschichtlich sehr alt und reguliert die Immobilisation [„Totstellreflex“]. Der bauchseitige (ventrale) Vagus-Zweig ist zusätzlich mit einer Art leitungsfähiger Protein-und Fettschicht (Myelinscheide) umhüllt und kommt nur bei Säugetieren vor. Er reguliert das Sozialverhalten und ist der stammesgeschichtlich jüngere Teil. Diese sogenannte Myelinisierung bewirkt eine schnellere Reizleitung der Nervenzellen, vergleichbar mit der Abschirmung elektrischer Kabel.

Porges stellte dazu das Konzept der Neurozeption (Zürich, 2005) vor, welches unbewusst mittels neuronaler Schaltkreise andere Menschen oder Situationen als sicher, gefährlich oder gar lebensbedrohlich einschätzt und darauf wie oben beschrieben reagiert. Diesen Prozess erleben wir ständig: Sei es, ob wir spüren, ob von einer anderen Person eine Gefahr ausgeht, ob wir uns mit einem vertrauten Menschen ruhig und sicher fühlen oder ob ein Säugling bei einer fremden Person anfängt zu weinen.


Der Körper weiß Bescheid

Somit spielt auch die körperliche Wahrnehmungsebene bei uns Menschen eine maßgebliche Rolle. Neben dem überwiegend bewusst und kognitiv steuernden Teil unseres Gehirns (dem Neocortex) sind auch das Limbische System mit der Emotionsverarbeitung und vor allem das Stammhirn (Hirnstamm, Reptiliengehirn, der entwicklungsgeschichtlich älteste Teil unseres Gehirns), welches für die grundlegenden Lebensfunktionen zuständig ist, am Kontakt mit Anderen beteiligt.

Das Stammhirn reagiert vor allem auf einladende und Sicherheit vermittelnde Sprachangebote, die zudem auch die eigene Wahrnehmung anregen und fördern. Beispiele: „Ich bin hier bei Ihnen und bleibe auch da.“... „Ich lade Sie ein, diese Wahrnehmung genauer zu betrachten.“... „Ich frage mich gerade, was in Ihnen vorgeht.“. Darüber hinaus sind sprachliche Unterstützungen, welche zur Autonomie des Klienten hinsichtlich der eigenen Empfindung ermutigen, unabdingbar. Eine überzeugte und unerschütterliche Grundannahme des Therapeuten, was dem Klienten gut tun würde und welche möglichen Interventionen richtig seien, würde den empfindsamen Prozess der (Wieder-)Erlangung von Autonomie und (Wieder-)Herstellung von Grenzen seitens des Klienten – gerade nach noch nicht verarbeiteten und oft überwältigenden Erfahrungen – nur stören und ihn erneut verunsichern.

Die Sprache in der Aufstellungsarbeit

„Wir können systemische Aufstellungen wie eine Zeichensprache verstehen, in der die Stellungen Bedeutungen enthalten, die dann von Menschen tendenziell in gleicher Weise verstanden werden. Und vor allem ist es eine besondere Sprache, eine Sprache, mit der wir soziale Beziehungen beschreiben können, mit der wir diese Beziehungen erklären und verstehen können und die uns in einem nächsten Schritt in die Lage versetzt, diese sozialen Beziehungen bewusst und aktiv gestalten zu können.“ (Schlötter, 2005, S. 9ff.)

Die für eine Beratungssituation oder therapeutische Sitzung von mir weiter oben angeregten Haltungen und Maßnahmen lassen sich nach meiner Erfahrung ebenso auf die Aufstellungsarbeit übertragen, sei es in einer Einzelaufstellung oder in einem Gruppenrahmen innerhalb eines Seminars oder Workshops. Hinzu kommt, dass nach meinen Beobachtungen schwer verdauliche Erfahrungen in einem Familiensystem in einer Art „kollektivem Nervensystem“ weiterwirken, indem oft gleich mehrere Familienmitglieder belastet sind und verschiedene Reaktionen wie z.B. Ängste, Suchtverhalten, Störungen der Persönlichkeitsentwicklung und anderes zeigen, welche darauf hinweisen, dass einmal etwas zu viel, zu schnell oder zu plötzlich für das Nervensystem gewesen ist. Es besteht somit eine Analogie zwischen den Spannungszuständen und Störungen im Körper eines einzelnen Menschen und im Organismus eines Familiensystems.

In meiner 25-jährigen Erfahrung als Leiter von Systemaufstellungen habe ich selbst oft meine Tendenz wahrgenommen, mich vornehmlich auf den Ablauf des Aufstellungsgeschehens zu konzentrieren und die Befindlichkeit des Klienten (des Aufstellenden) weniger zu beachten, insbesondere bei einer stark wirkenden Dramatik des Geschehens. Hinzu kam ebenfalls die gut gemeinte, aber durchaus auch als 'Damoklesschwert' wirkende 'gute Lösung', welche wir Aufstellungsleiter anstreben sollten. Von den sichtbaren Erfolgen 'berauscht', wie ich es einmal plakativ formulierte, haben wir die Körperzeichen der Klienten oft nicht wahrnehmen können, bzw. aus dem Auge verloren. 

Selbst der Spiritus rector der Aufstellungsarbeit, Bert Hellinger, hatte lange Zeit den Empfindungen und Wahrnehmungen der Aufstellenden weniger Gewicht beigemessen als dem Aufstellungsgeschehen und seiner eigenen Wahrnehmung. Früher eher als Widerstand gedeutet, wird es für uns Aufsteller jedoch zunehmend wichtig, auch ein berechtigtes und organisches Autonomiebedürfnis des Klienten dahinter zu sehen.

Die Haltung der Aufstellungsleitung

In diesem Zusammenhang wäre es auch interessant, zu fragen, warum wir als Leiter überhaupt eine Aufstellung durchführen wollen, was unsere Motivation ist und für wen wir das tun wollen. Für uns selbst, für den Klienten, für 'das Feld', für unser eigenes System? Neben allen anderen wirtschaftlichen, wissenschaftlichen oder sonstigen Gründen. Prägt unsere Intention (bewusst oder unbewusst) somit auch unsere jeweilige Sprache? Sehen wir uns selbst als unfehlbare Vertreter einer Methode (und müssen uns mit Klienten als eigensinnige 'Gegenspieler' 'herumschlagen'?), als 'Bedarfsaufsteller', welche möglichst alle Wünsche des Klienten erfüllen möchten oder als auf ihrem Gebiet erfahrene Partner, die den eigenverantwortlichen Klienten für eine gewisse Zeit eine Kooperation anbieten können? Zur Erforschung der (vom Klienten empfundenen) Problemstellung mit einhergehender Bereitschaft zur Veränderung und Erweiterung der Perspektive? Und welches Menschenbild haben wir, wie sehen wir unsere Klienten?

Je nach eigener Positionierung und Haltung bedienen wir uns entsprechend auch unterschiedlicher Sprache in der Aufstellungsarbeit, sei es direktiv, anregend, strukturierend, einladend, Raum gebend, fragend, klärend, moralisierend, versöhnend. Dies hat auch Auswirkungen auf die Stimmung in der Aufstellungsgruppe: Ist sie angespannt, ängstlich, betreten oder sicher, heiter, gelöst? Reagiert das Nervensystem von Beteiligten automatisch mit Rückzug und Immobilität oder mit offener und bereitwilliger Teilnahme am Geschehen?

Christopher Bodirsky (2020) meint in diesem Zusammenhang:

Mit diesem Wissen im Hinterkopf ist es hilfreich, zentrale Aussagen die man trifft, zu überdenken. Für mich ist zum Beispiel die Aussage „eine Aufstellung abzubrechen“ extrem unglücklich. Ein Projekt wird abgebrochen, Gespräche werden abgebrochen, eine Bergbesteigung wird abgebrochen – all das wird typischerweise mit "scheitern" verknüpft. Klienten, die das erfahren, beziehen das Scheitern oft auf sich. „Ich konnte mein Anliegen nicht richtig formulieren“, oder „mein Anliegen eignet sich nicht...“, sind Aussagen, die ich in meiner Praxis immer wieder mal höre, wenn ich eine mögliche Aufstellung ins Gespräch bringe. Damit wird dann auch begründet, warum eine Aufstellung eigentlich nicht mehr in Frage kommt. Wie viel leichter klingt es, wenn man zum Beispiel formuliert: „Ich möchte die Aufstellung jetzt hier erst mal stehen lassen – und Du beobachtest bitte, was sich bereits verändert...“
Sehr hilfreich ist es natürlich, wenn man dabei noch einmal zusammenfassen kann, welche Hypothesen die Klienten hatten, die sich vielleicht nicht bestätigt haben, oder welche Ideen ich überprüft habe, die kein Ergebnis zeigten. Denn ich denke, niemand wird zum Beispiel seinem Arzt böse sein wenn dieser mitteilt: „Also ihre Befürchtung, dass ihr Blutdruck zu hoch ist, hat sich nicht bestätigt…“

Bodirsky regt weiterhin an, absolute Aussagen [gegenüber den Klienten, H.H.] zu vermeiden und stattdessen relative Aussagen mit den sprachlichen Angeboten „einmal angenommen“ und „vielleicht“ zu verwenden.

In Erinnerung zeitweiliger Diskussionen unter Aufstellerkollegen möchte ich noch hinzufügen, dass auch eine relative und zur weiteren Erforschung einladende Aussage präzise sein kann und dennoch keinen absoluten Charakter haben muss. Auch die oft geäußerte Meinung, absolute Aussagen „kämen aus dem Feld“, ist es Wert, noch einmal überprüft zu werden. Wirklich aus dem Feld oder aus meinem eigenen Feld?

Ich möchte diese Überlegungen anhand meiner Erfahrungen einzelner Phasen und Schritte im Aufstellungsprozess erläutern und vertiefen:

1. Das Vorgespräch bzw. Erstinterview

Nicht nur Menschen, die zum ersten Mal an einer Aufstellung teilnehmen, sondern auch mit der Methode bereits Vertraute sind erfahrungsgemäß durchaus angespannt und wissen nicht, was auf sie zukommt. So entsteht bei ihnen ein gewisser Stress, der auch bei der Erstbefragung zu berücksichtigen ist.

Bereits hier sehe ich sowohl die sprachliche als auch die nonverbale Kontaktaufnahme als prägend und entscheidend für den weiteren Ablauf an. Nach meiner Erfahrung spielt hierbei zunächst die Orientierung für den Klienten eine wichtige Rolle, sei es räumlich, situativ und in Kontakt mit sich selbst, der Aufstellungsleitung und auch den anderen Anwesenden.

Ich beziehe auch die Reaktionen des Körpers ein, z.B. ein hörbares Ausatmen, wenn die gesammelte Spannung in eine Entladung übergeht. Ein Blickkontakt ist vielleicht erst jetzt möglich. Und auf der sprachlichen Ebene die Fähigkeit, das Anliegen zu schildern. Die Diskussion unter uns Aufstellern darüber, ob und auf welche Weise man dem Klienten bei der Benennung seines Themas zuhört, ihn ausreden lässt, unterbricht, Regeln aufstellt („nur 3 Sätze“) oder sich von seinen manchmal weitschweifigen Geschichten, Erklärungen, Mutmaßungen und Interpretationen geradezu „vernebeln“ lässt, ist ja nicht neu. Sollten wir rigoros in unserem Sinne vorgehen oder mit dem „dritten Ohr“ zuhören, wie es ein Aufstellerkollege seinerzeit formulierte?

Auch ich habe lange nicht den 'Stein der Weisen' für diese Situation gefunden, war mit meiner Geduld auf die Probe gestellt, gereizt, erschöpft und hatte fast das Gefühl, gegen das Bild des Klienten 'anarbeiten' zu müssen. Und in eine Art Kampf mit dem Klienten zu gehen, erschwert die Situation nur noch. Allmählich, auch durch die Erfahrung meiner eigenen Regulationsfähigkeit (unterstützt durch meine traumatherapeutischen Weiterbildungen), habe ich auf die Körpersprache und das Körperempfinden auch in den Aufstellungen immer mehr fokussiert.

Diese Veränderung hatte auch sicht- und spürbare Auswirkungen auf die Präsenz und Kommunikationsfähigkeit der Klienten. Verbunden mit der einleitenden Frage nach dem Ziel des Anliegens, der Entwicklung des Wunsches und der Begleitung in der Vorstellung, wie sich eine mögliche 'gute Lösung' auch körperlich anfühlen würde, wurden die Erstgespräche kürzer, leichter und auch atmosphärisch greifbarer. Meine Erkenntnis dabei: Je mehr der Klient sich selbst wahrnehmen kann, mit zunehmender Sicherheit und Präsenz - trotz der herausfordernden und ungewohnten Situation - umso klarer kann das Anliegen mit dem Bedürfnis nach Veränderung formuliert werden. Und die Übersetzung in die Aufstellungssprache, wie ich es formuliere, ist dann ebenfalls leichter geworden. Ich frage zudem nach der Bereitschaft des Klienten, das Thema zu erforschen. Ich mag dieses Wort. Es beinhaltet für mich ein temporäres gemeinsames Projekt zwischen Erwachsenen, die auch ein gewisses Maß an Offenheit, Vertrauen und Verbindlichkeit investieren. Und habe oft bemerkt, wie sich ein Klient bei dieser Formulierung innerlich und äußerlich aufrichtet.

2. Die Aufstellung

Auch in den nächsten Schritten behalte ich diese Haltung bei. Die Auswahl der Repräsentanten erfolgt gesammelt, mit den zur Zeit geltenden Abstandsregeln ohne Berührung und die gewählten Stellvertreter suchen sich selbst ihren Platz. Meine einladenden Fragen zur Befindlichkeit und Wahrnehmung folgen, weitere Rückmeldungen der Repräsentanten verändern allmählich das Bild.

Zu Beginn eines Seminars benenne ich die Aufstellenden als meine Supervisoren, die mir jederzeit, auch im Aufstellungsgeschehen, eine Rückmeldung geben können. So bekomme ich auch mit, wo sich die Aufstellenden gerade innerlich befinden und in welcher Phase der Aufstellung sie reagieren. Manchmal bitte ich den Klienten auch an meine Seite, um beispielsweise gemeinsam auf eine vielleicht stockende Phase in der Arbeit zu schauen. Und oft hat die Präsenz des Aufstellenden am 'Spielfeldrand' einen positiven Einfluss auf das Geschehen, die auch sprachlich ausgedrückte 'Erforschung' bewirkt zumeist eine größere Sammlung der Stellvertreter, die ebenfalls noch weitere Wahrnehmungsebenen erforschen möchten. Und dieser gesammelte Moment öffnet wiederum neue Möglichkeiten, welche vorher noch nicht sichtbar waren.

Im Verlauf einer Aufstellung lasse ich mich selbst von der Leitlinie das, was geht, bzw. das, was jetzt möglich ist führen, als von der für mich eher abstrakt wirkenden guten Lösung. Dies hilft mir, die derzeitigen Möglichkeiten und Kapazitäten der Aufstellenden und ihrer Systeme im Auge zu behalten und keine „Ideallösung“ anzustreben. Und ich bemerke, dass sich diese Haltung in der Aufstellung in Form einer ruhigen und aufmerksamen Konzentration der TeilnehmerInnen widerspiegelt. Somit gehen für mich auch die nonverbalen Leitlinien und Haltungen der Aufstellungsleitung spürbar in Resonanz mit der Atmosphäre und der Stimmung im gesamten Seminar.

Es muss nämlich keine ängstliche Anspannung herrschen, kein Warten auf das 'Damoklesschwert der Wahrheit', welches die ganzen Fehler und Versäumnisse der Aufstellenden offenlegt, kein Hoffen auf Gnade und Milde eines 'Gottvaters Zeus', des Leiters. Das ist für mich eine falsch verstandene Dramatik und darf der Vergangenheit angehören.

Ein einladender Rahmen, welcher Offenheit, Neugier, Humor, Kreativität, Akzeptanz und dergleichen beinhaltet und somit eine sichere Atmosphäre entwickelt, hat seine eigene Intensität und Qualität. Und schafft eine hohe Bereitschaft der TeilnehmerInnen, die jeweiligen Aufstellungsprozesse mitzugestalten.

3. Nach der Aufstellung

Auch nach Beendigung des Aufstellungsgeschehens ist es für mich wichtig, mit dem Klienten für einen Moment auch im verbalen Kontakt zu bleiben. Sei es, um dem Aufstellenden Gelegenheit zu geben, seine aktuellen Empfindungen auszudrücken, sei es um die Repräsentanten zu unterstützen, ihre vormaligen Positionen gut verlassen zu können oder sei es, um noch eine Weile einfach innezuhalten.

Auch in dieser Phase geht es nicht darum, langwierige Erklärungen abzugeben oder den Klienten vom Aufstellungsverlauf zu überzeugen. Vielmehr entwickelt sich oft eine Art gesammelter Dichte in der Gruppe, welche dankbar angenommen wird. Gerade in der Neuorientierung des Aufstellenden zwischen bislang Erfahrenem und aktuell Erlebtem scheint mir eine Balance von nonverbaler Präsenz und verbaler Zuwendung als angemessen und sinnvoll.

Weder ein 'Redeverbot' nach der Aufstellung, noch ein sparsames und manchmal sogar abwehrendes 'nimm’ es einfach' oder 'lass’ es auf dich wirken' ist für mich, auch hinsichtlich eines adäquaten Regulierungsprozesses im Nervensystem, zweckmäßig und empfehlenswert. Die zuweilen geäußerte Befürchtung von einigen Aufstellern, der Klient könne durch verbalen Kontakt angeregt werden, nur vom Verstandeszentrum aus zu argumentieren und damit gewissermaßen seine „Vorab-Deutung“ bestätigen, hat sich bislang für mich nicht bewahrheitet. Im Gegenteil, nach meiner Beobachtung kann eine gemeinsame sprachliche Erforschung von Therapeut und Klient neue Räume des Erkennens schaffen und behilflich sein, bisherige Denkansätze neu zu reflektieren, ohne in eine Art Diskussion verfallen zu müssen.

Darüber hinaus kann der Klient leichter zwischen dem Erfahrungshintergrund der seiner Vergangenheit und der aktuellen Wahrnehmung unterscheiden, zumal seinerzeit die zugrunde liegenden belastenden Situationen im System zumeist kaum verbalisiert werden konnten. Insofern kann auch hier eine einladende sprachliche Zuwendung als ein heilendes Element gesehen werden.

 

Literatur:

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Roth, G. (2011). Bildung braucht Persönlichkeit – Auf frühkindliches Lernen kommt es an! Berlin: Robert Bosch Repräsentanz, S. 10ff.

Schlötter, P. (2005). Vertraute Sprache und ihre Entdeckung. Systemaufstellungen sind keine Zufallsprodukte – der empirische Nachweis. Heidelberg: Carl-Auer-Verlag, S. 9ff.

Schulz von Thun, F. (1981). Miteinander reden 1: Störungen und Klärungen. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Verlag, S. 13ff.

Stangl, W. (2020). Die Deutung und das Erlernen der Deutung von nonverbaler Kommunikation. Werner Stangls Arbeitsblätter.

Yerkes, R.M. & Dodson, J.D. (1908). The relation of strength of stimulus to rapidity of habit-formation. Journal of Comparative Neurology and Psychology, 18, S. 459-482

Wehling, E., (2016). Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet – und daraus Politik macht. Köln: Herbert von Halem Verlag.

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